Lizzy wischte eine Träne aufrichtiger Rührung aus ihrem Augenwinkel. Glitzerndes Konfetti rieselte zeitlupenartig von der Decke der Lüneburger Stadthalle, fand an ihrem, mit dem Glätteisen bis zur Spiegelfläche getrimmten Haar, keinen Halt und ließ sich auf dem Gesicht nieder. Dort vermischte es sich mit Schweiß, Tränen und einer nicht mehr ganz so soliden Foundation aus antibakteriellem Abdeckstift und Kompaktpuder, die unter dem grellen Scheinwerferlicht allmählich zu schmelzen begann.
Von den Seitenarmen der T-förmigen Bühne eilte eine Delegation von als Busfahrerinnen ausstaffierten Hilfskräften herbei, die Lizzy feierlich eine Schärpe umlegten – „Miss Verbundraum Lüneburg Wümme Fallingbostel“ war darauf in goldenen Lettern geschrieben.
Sie schluchzte, während der Geschäftsführer der Verkehrsgemeinschaft Nordost ihr würdevoll eine Krone aufsetzte. Lizzy knickten unter der Last eines nervenzusammenbruchartigen Heulkrampfes die Knie ein.
„Das ist sie: Unsere neue Miss VLWF!“ kündigte der Geschäftsführer mit stolzgeschwellter Brust an, „die Bühne gehört ihr... für den traditionellen Siegeslauf!“
Lizzy sammelte all ihre Kräfte und sprang auf ihre noch wackeligen Beine zurück. Insgesamt schien ihr Körper derzeit nur teilweise der Kontrolle ihres Gehirns zu unterliegen, und so entlud sich ihre wilde Freude über den Sieg ungehemmt in einer Unzahl Schwindel erregender Pirouetten und unkontrollierter Luftsprünge.
Der, durch die vorübergehende geistige Umnachtung der Miss, nicht mehr ganz so traditionelle Siegeslauf, wurde begleitet von einem durch und durch traditionellen Videoportrait, wie es an dieser Stelle der Zeremonie auch in den vergangenen Jahren immer auf einer überdimensionalen Leinwand im Hintergrund lief. Wie jedes Jahr zeigte es einen kurzen Abriss des ereignislosen Lebens der frisch gekürten Siegerin vor ihrem Eintritt in die Welt der Schönheitsköniginnen. Darauf folgte die nachgestellte Szene ihrer Entdeckung durch einen aufmerksamen U-Bahnschaffner, dessen Gespür für Mode und Style in einem einfachen Fahrgast das Potenzial zum Model zu sehen im Stande war. Den vergleichsweise längsten Teil bildete allerdings eine Zusammenfassung der unfassbar wertvollen und menschlich prägenden letzten zweieinhalb Stunden, in denen Lizzy gezielt und jenseits von jeglichem Gefühl für Anstand und Moral, eine Konkurrentin nach der anderen ausgeschaltet hatte.
Und jetzt, nach all dem Kampf um die Krone – jetzt war es endlich so weit: der Geschäftsführer überreichte ihr feierlich ihren Arbeitsvertrag mit dem Homeshoppingkanal, bei dem sie ab nun ein Jahr lang Anti-Falten-Cremes, Rheumadecken, Wellnesssocken und Porzellanpüppchen präsentieren durfte. Hinzu kam ein Jahresticket für den öffentlichen Nahverkehr des Verbundraums.
Lizzy hatte es geschafft. War vom einfachen Fahrgast an der U-Bahnhaltestelle Peppenbruck auf direktem Wege zur Miss Verbundraum Lüneburg Wümme Fallingbostel aufgestiegen.
Eine Reihe falscher Wimpern trat in sinnflutartigen Sturzbächen von Freudentränen ihre Reise gen Mundwinkel an, als sie das Mikrofon zur Dankesrede entgegennahm. " Ich... ich danke..." schniefte sie, "ich danke Gott, meinen Eltern und dem Verkehrsverbund Lüneburg!"
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