Mabonagrin wunderte sich. Die Rüstung passte wie angegossen. Dabei waren seinen Glieder doch größer und länger, als die jedes anderen Menschen. Mabonagrin hatte noch nie einen Mann getroffen, den er nicht mindestens um einen Kopf überragte. Daher musste jede seiner Rüstungen gesondert angefertigt werden. Wer aber hatte bei dieser Rüstung Maß genommen?
„Du siehst stattlich aus, mein Ritter.“
„Du freust dich nicht wirklich darüber.“
„Ich freue mich über deine Schönheit. Und ich freue mich über deine Kraft. Aber freue mich nicht auf den Kampf!“
„Jede Dame freut sich, wenn ihr Ritter gut kämpft.“
„Mir ist das gleichgültig.“
„Möge Gott dich verstehen“, brummte Mabonagrin und bestieg schwerfällig sein Pferd, das Alaia für ihn hielt. Sie ließ die Zügel los, als er oben saß. Sofort drückte er dem Tier seine Fersen in die weiche Flanke. Als das Ross nach vorne schoss, hatte er das Gespräch schon vergessen. Er genoss den Gegenwind. Er spürte die Muskeln des Pferdes unter sich arbeiten, hörte das gedämpfte Schlagen der Hufe auf der Frühlingswiese, sah die blühenden und Obst behangenen Bäume vorbeifliegen und liebte es.
Reiten und Kämpfen, das war der Inhalt des Rittertums. Wenn er oben auf seinem Pferd saß, erschien Mabonagrin das Leben leicht. Er wusste dann, was er zu tun hatte. Und nun besaß er diese herrliche Rüstung. Sie war weder zu schwer noch zu leicht, sondern genau richtig, wie sie sich an seinen Körper schmiegte, um seine Kampfkraft zu verdoppeln. Er fühlte sich stark.
„Komm zurück!“
Mabonagrin hörte Alaias Rufe kaum durch den Eisenhelm. Doch sah er durch die Augenschlitze, wie sie winkte. Als er bei ihr war, sagte sie: „Du reitest gut. – Aber etwas fehlt dir noch, und scheinst es gar nicht zu vermissen.“
„Was?“ fragte Mabonagrin erstaunt.
„Reite zu unserem Apfelbaum und schau, was du dort findest.
„Eine Lanze!“ rief Mabonagrin wenig später. „Eine prächtig feste Lanze zum Tjosten. In Rot!“
„Du sollst dich nicht freuen! Das hier wird kein Turnier. Es geht um Leben und Tod. – Kein Eindringling darf meinen Garten lebendig verlassen.“
„Was erzählst du?“ rief Mabonagrin, der nicht genau zugehört hatte. Doch bevor Alaia es besser erklären konnte, ertönte vom Rande der Wiese, - dort, wo Mabonagrin noch einige Eichen zu sehen glaubte -, der Ruf eines fremden Ritters.
Mabonagrin winkte Alaia zu und rief: „Jetzt gilt´s!“
Er drückte dem Pferd fest die Haken in die Seiten und stürmte auf den Ritter zu.
„Was habt Ihr hier zu suchen, in unserem Garten?“
„Euch fehlt es an Höflichkeit“, erwiderte der Fremde, „da Ihr nicht ordentlich grüßt. Sei´s drum, ich werde Euch schon den rechten Anstand lehren.“
Mabonagrin fragte ein weiteres Mal, und schon lag Jähzorn in seiner Stimme: „Warum kommt Ihr hierher und stört mich und meine Dame? Wer rief Euch?“
„Es war der Ruf des Abenteuers, der durch alle Lande schallt. Nur wer wirklich liebt, kann es bestehen, so heißt es. – Nun, ich liebe meine Dame über alles und will das gerne beweisen. Ihr scheint ein starker Gegner zu sein, doch meine Liebe macht mich stärker. Niemand liebt so heftig wie ich!“
„Wo ist Eure Dame jetzt?“
„Sie konnte die Nebelwolke nicht durchdringen. Eine geheime Macht hielt sie ab. Aber sie wartet am Rand dieses Zauberwaldes. – Und ich habe ihr versprochen, sie nicht lange alleine zu lassen. Darum genug geschwatzt, Roter Ritter, lasst uns sehen, wer hier wahrlich liebt!“
Der fremde Ritter schloss sein Visier. Das wenige von seinem jungen Antlitz, das Mabonagrin gesehen hatte, - vor allem die braunen verträumten Augen -, verschwand. Der Mann wurde gesichtslos, wurde zu einer feindlichen eisernen Masse. Mit lautem Ho wendete er sein Streitross und ritt zum anderen Ende der Wiese. Dort drehte er sich wieder, brachte seine Lanze in Position und wartete; ganz kalte Drohung.
Mabonagrin schwankte zwischen Zorn und Verwirrung. Er hatte keine Lust zu kämpfen. Sein Herz war dazu viel zu glücklich. Doch der hatte ihn herausgefordert. Da musste er wohl dagegen halten. Außerdem stand Alaia immer noch unter dem Apfelbaum. Seine weiße Blütenkrone umschimmerte ihren Kopf wie eine Aureole. – Es gab kein Zurück. Der Störenfried stellte sich zwischen sie und ihn. Wo er doch nur zurück in ihre Arme wollte. Heiße Wut schoss hinter seine Augen. Dafür sollte der bezahlen.
Das Pferd begann zu tänzeln. Es spürte die Anspannung seines Herrn. Mit harter Hand riss Mabonagrin am Zügel. Seine stählerne Hand schlug das Visier herunter. Die Welt war damit auf den Sehschlitz seines Helms beschränkt. Nun war er gefangen in der Einsamkeit des roten Eisens. Das rieb, schürfte und sägte sich in sein Fleisch mit jedem Zucken des Pferdekörpers unter ihm. Das Tier bäumte sich auf. Er legte die Lanze in die Waagrechte und gab es frei. Das Ross stürzte nach vorne. Eisen, Menschenfleisch und Tiermuskel wurden eins, wurden ein Ungeheuer, das flog, vorwärts, um zu vernichten, um zu töten.
Kein Wort zu Gott, kein Blick zu seiner Liebe, keinen Gedanken mehr, wer er war. Mabonagrin war nur noch rasende Bewegung. Auf ihn zu kam, schneller und schneller, über die grüne Wiese an Kirsch- und Apfelbäumen vorbei, sein Tod. Alles, was er ersehnte, war der Zusammenstoss. Da war er!
Eisen krachte auf Eisen. Mabonagrin riss sein Pferd hart zur Seite, fintete, lenkte die feindliche Lanze mit seinem Schild ins Leere und stieß selbst zu. Der Ruck riss ihm fast den Arm aus der Schulter. Ein jäher Schmerz durchzuckte seinen gefangenen Körper, während der Krach des Aufpralls ihn ertauben ließ. Die Lanze brach. Sein völlig ungebärdiges Streitross stürmte weiter. Eisenschulter prallte auf Eisenschulter. Gerade noch hielt er sich auf dem Tier. Dann war er an dem Gegner vorbei.
Wo war der Feind?
Sein Herzschlag raste, ließ ihn fast überschnappen. Er hatte keinen Atem. Im Helm war es feuchtheiß. Die Luft war verbraucht. Er wollte das Visier aufreißen. Doch wo war der Feind? Hatte der seine Lanze noch? Wie gut hatte er selbst getroffen? Er musste sein Pferd wieder beherrschen, es wenden, den Feind sehen. Bunte Schlieren tanzten vor seinen Augen. War der Blick, den der Sichtschlitz seines Helms freigab, die ganze Welt? Wo war der Feind?
Langsam, viel zu langsam wendete er sein Pferd. Jeden Augenblick erwartete er den tödlichen Stoss in seinen Rücken. Doch, als er endlich seinen Gegner wieder im Blick hatte, sah er, wie der im Sattel hin- und hertaumelte. Mabonagrins abgebrochene Lanze hatte sein Kettenhemd durchbohrt und steckte tief in seinem Bauch.
Woher war der Hass gekommen, sollte sich Mabonagrin später fragen, als er wieder denken konnte. In diesem Moment allerdings lebte er den Hass. Er zog sein Schwert und ritt auf den besiegten Ritter zu. Mit einem gewaltigen Streich hieb er ihm den Kopf vom Rumpf. Als dieser auf dem Boden aufschlug, hallte ein verzweifelter Frauenschrei von jenseits der Nebelwand durch den Garten.
Mabonagrin aber fand noch keine Ruhe. Er sprang vom Pferd. Mit zwei weiteren Schwerthieben köpfte und fällte er einen jungen herrlich blühenden Kirschbaum. Dann spitzte er den Stock zu, holte sich den abgeschlagenen Kopf und schritt an der stummen Gestalt Alaias vorbei zum Rande des Zauberwaldes.
Dort, wo die Nebel sich auflösten, fand er eine weinende Frau. Doch er kümmerte sich nicht um sie. Stattdessen rammte er den Stock mit aller Macht in die Erde. Dann pflanzte Mabonagrin den Kopf des Ritters darauf. Als Zeichen für alle, die in der Zukunft zu kommen wagten.
Die Dame floh voll irrsinnigem Schrecken, als sie sah, was der Rote Ritter ihrem Liebsten antat. Mabonagrin aber machte kehrt und verschwand in den Nebeln des Zaubergartens. Zurück blieb als einsamer Wächter der Totenkopfpfahl.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen